ÄH, DISLO- WAS?
Im Spitalsbereich ist man über dislozierte Frakturen, dislozierte Organe oder Implantate wenig erfreut – bedeutet doch eine Dislokation üblicherweise Komplikationen und erhöhten Handlungsbedarf.
Ganz anders erleben wir derzeit das Projekt „disloziertes Arbeiten“, welches mit Ende April eigentlich beendet hätte sein sollen. Aufgrund der positiven Rückmeldung der teilnehmenden Personen und Dienststellen wurde der Projektzeitraum jedoch um ein Jahr verlängert und die Ausweitung auf eine größere Anzahl von Dienststellen ab Herbst ins Auge gefasst. Die Evaluierung wollte man hier gar nicht abwarten, derart positiv waren offenbar die Erfahrungen aus der ersten Projektphase.
Am Projekt NAWI (Neues Arbeiten für Wien = disloziertes Arbeiten) sind bisher rund 700 Personen aus der MA 6, MA 14, MA 18, MA 20, MA 23 und der MA 25 beteiligt. Das Projekt ist ursprünglich aus den vielen Ideen des „WiSTA – Wien neu Denken“ hervorgegangen und dem Wunsch nach einer neuen, flexibleren, weniger zeit- und ortsgebundenen Arbeitsweise entsprungen. War der erste Anschein noch ein bisschen wie „Teleworking light“, hat sich das Pilotprojekt weit darüber hinaus entwickelt.
Auch um den teilhabenden Dienststellen einen breiten Erprobungsspielraum zu ermöglichen, wurden die Rahmenbedingungen weit gesteckt:
- Auflösung der Kernarbeitszeit
- Loslösung vom fix zugewiesenen Arbeitsplatz
- Nutzung von CoWorkingSpaces
Jubelmeldungen
Die Erprobungsphase hätte von Oktober 2017 bis April 2018 laufen sollen, und wurde – wie bereits erwähnt – ohne Evaluierung oder Korrektur gleich einmal um ein Jahr verlängert. Die Teilnahme der MitarbeiterInnen findet auf freiwilliger Basis statt und die Rückmeldungen waren grosso modo positiv. Da sich die KIV/UG nicht auf Jubelmeldungen von Projektverantwortlichen und Führungskräften verlassen wollte, haben wir viele Gespräche auch mit „einfachen“ MitarbeiterInnen geführt.
Auch hier war durchwegs Zustimmung zur Sache selbst zu bemerken. Kritik gab es nur an einzelnen Punkten in der Abwicklung bzw. an dienststellenspezifischen Details, aber die Möglichkeit, seinen Job nicht unbedingt fixiert im Büro erledigen zu müssen, hat so etwas wie Begeisterung ausgelöst.
An verhaltener Kritik wurde beispielsweise geäußert:
- Nicht alle Teilnehmer erhielten einen Laptop zu Verfügung gestellt
- Misstrauische Vorgesetzte; in einer Abteilung ist es generell verboten, an Montagen ortsunabhängig zu arbeiten
- Zuteilung von Essensmarken vom Wohnort abhängig
- Nur zu Hause oder in der Dienststelle als Arbeitsort möglich – keine „richtige“ Ortsunabhängigkeit
- Keine Kernzeit bedeutet, keine bezahlten Abwesenheiten mehr (Arzt, Amtsweg und Ähnliches); gilt auch für Nicht-Teilnehmer (!)
- Aufwendiges Genehmigungs- und Dokumentationsverfahren (Email, Outlook und Zettelwirtschaft)
Ein teilnehmender Gruppenleiter aus der MA 6 fasste es so zusammen:
„Ich wohne in der Nähe von Güssing und sitze täglich 4,5 Stunden im Bus, um zu meiner Arbeit zu kommen. An zwei Tagen pro Woche erledige ich jetzt Administratives von zu Hause aus. Mit Diensthandy und problemloser EDV-Anbindung kann ich mich jetzt bequem vom Wohnort aus Arbeiten widmen, die nicht unbedingt meine Anwesenheit im Büro erfordern. Die eingesparte Fahrtzeit ist ein immenser Gewinn an Lebensqualität. Ich hoffe, das Projekt wird in den Regelbetrieb übergehen.“
Eine Mitarbeiterin der MA 14 mit vielfältigen familiären Verpflichtungen äußerte sich folgendermaßen:
„Gerade im IT-Bereich ist zeit- und ortsunabhängiges Arbeiten nicht nur machbar sondern auch sinnvoll. Wenn es sichergestellt ist, dass der persönliche Kontakt zu KollegInnen und MitarbeiterInnen nicht zu kurz kommt, ist diese Initiative begrüßenswert. Aufgrund meines Berufes und meiner familiären Situation bin ich strukturiertes Arbeiten und Planen gewohnt. Mit dem dislozierten Arbeiten habe ich die Möglichkeit, effizient im Job zu sein und gleichzeitig untertags auch einmal „auszusteigen“ und mich anderen Dingen zu widmen. Damit meine ich nicht nur das zwischendurch Erledigen von privaten Verpflichtungen. Auch nehme ich mir einfach Zeit für mich. Ob diese Projektumgebung zum zukünftigen Standard im Magistrat wird, kann ich nicht sagen. Aber etwas Vergleichbares wird es geben müssen, will der Magistrat den Zug der Zeit nicht verpassen.“
Die Rückseite der Medaille?
Kann eine derart gut angelaufene und aufgenommene Veränderung auch schlechte Seiten haben?
Wie zu jedem beliebigen Zeitpunkt muss die Personalvertretung auch hierbei aufmerksam sein und bleiben. Aus der Erfahrung und der grundsätzlichen Positionierung der Dienstgeberin wissen wir, dass selten „Geschenke“ verteilt werden und oft langfristig strategische Ziele verfolgt werden.
Ein Ziel könnte – nach einem großflächigen Einsatz dieser Arbeitsform – sein, dass die Dienstgeberin das Nutzungskonzept von Büroräumlichkeiten überdenkt. Weniger Büroflächen, weniger Miete, weniger Ausstattung, weniger Energieverbrauch und weniger Reinigungskräfte. Gegen ein ordentliches Umgehen mit Steuermittel kann wohl niemand etwas einwenden. Dort wo es jedoch Kolleginnen und Kollegen als Sparpotential trifft, gilt es besonders aufzupassen und sich nicht im Überschwang der Jubelmeldungen über den Verhandlungstisch ziehen zu lassen.
Was wäre, wenn disloziertes Arbeiten nicht mehr auf Freiwilligkeit basiert? Die mit diesem Konzept zusammenhängende „Auflösung der Kernarbeitszeit“ muss/kann nicht nur positiv gedacht werden. Fragen wir doch einmal die Menschen, die am 8. Dezember alljährlich im Handel freiwillig und gern arbeiten. Fragen wir aber auch gleich nach den Konsequenzen, falls sich zu wenige Willige melden.
Die Aufteilung der Arbeitszeit der Bediensteten der Stadt Wien ist mit einem der stärksten Mitwirkungsrechte der Personalvertretung (§39 Abs.2 Zi. 4 W-PVG) verbunden. Beim gegenständlichen Projekt „NAWI“ mutiert die Arbeitszeit an den dislozierten Tagen zum Bittstellerantrag der Einzelperson an den jeweiligen Linienvorgesetzten, der die Erfordernisse eines geordneten Dienstbetriebs individuell oder vielleicht auch originell auslegt.
„Auflösung der Kernarbeitszeit“, „Rahmen auflockern“ und „Flexibilität fordern“ – Lieblingsfloskeln als Omnipotenzphantasie der ArbeitgeberInnenseite. Was keinesfalls sein kann:
Arbeitszeitvereinbarungen dürfen nicht zum leicht formbaren Gut zwischen MitarbeiterIn und Vorgesetzten werden. Keine lose Vereinbarung, um die der Mitarbeiter ansucht und die die Chefin gewährt oder nicht. Das Gefahrenpotential für Willkür und Missbrauch steigt in einer Grauzone von fehlenden rechtlichen Rahmenbedingungen und verhaltensoriginellen, machtbewussten Führungskräften. Hier darf sich die Bedienstetenvertretung das Heft keinesfalls aus der Hand nehmen lassen.
Was es noch zu beachten gilt
Die Abgrenzung zwischen Arbeitszeit und privater Zeit verwischt. Ähnlich dem Teleworking braucht es eine gewisse Konsequenz, die Arbeit strikt von der Privatzeit zu trennen und sich nicht aus lauter Dankbarkeit der Vorstellung hinzugeben, beim dislozierten Arbeiten mehr leisten zu müssen, als im Büro. Selbstausbeutende Mechanismen von MitarbeiterInnen der Stadt sind uns aus der Beratungstätigkeit in der Personalvertretung nicht ganz fremd.
Die Regelung über die Essensmarken – auch wenn es sich nur um € 1,46 handelt – zeigt nicht konsequent zu Ende gedachte Vorstellungen. An NAWI-Tagen bekommen Personen mit Wohnsitz außerhalb von Wien keine Essensmarke. Kleinlich und peinlich, so flexibel und „Rahmen auflockernd“ ist die Dienstgeberin dann doch nicht.
Was wir fordern:
Für dieses bisher gut aufgenommen Projekt fehlen rechtliche Rahmenbedingungen zum Schutz der MitarbeiterInnen. Wiedermal soll hinterher gebastelt werden, was vorher schon notwendig gewesen wäre.
Am vordringlichsten erscheint ein Mitwirkungsrecht der PV für die Arbeitszeitgestaltung bei jedem Einzelfall, gerade wenn es um so etwas Einschneidendes wie die Auflösung der Kernarbeitszeit geht.
In den vielen anderen Punkten wäre eine gleiche Vorgehensweise bei gleichen Sachverhalten in den teilnehmenden Dienststellen nicht nur wünschenswert, sondern eine Grundvoraussetzung. Exakte Regelungen für Dienst- und Wegunfälle, Ruhezeiten, mehrmaliger Dienstantritt pro Tag, Übernahme von Hardwareausstattung durch die Dienstgeberin und einiges mehr. Erst wenn diese Rahmenbedingungen allseits klar sind und jede/r TeilnehmerIn genau weiß worauf er/sie sich einlässt, ist eine faire Bewertung möglich und sinnvoll.
Es ist noch viel zu tun!
Hier könnt ihr euch näher über NAWI informieren:
FAQs MitarbeiterInnen und Führungskräfte
Antragsformular NAWI
Erfahrungsbericht (Wien intern – Login erforderlich)
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